Einblicke und Ansichten

*** Update: Die Galerie zeigt Fotos der Dauerausstellung des DHM zum Zeitpunkt der Fertigstellung unseres Audioguides Anfang 2013. Siehe zu den seitdem vorgenommenen Veränderungen der Ausstellung unseren Kommentar "Kolonialismus im Kasten revisited" ***

Das Deutsche Historische Museum in Berlin versteht sich als Ort der „Aufklärung und Verständigung über die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Europäern“.

An der 2006 eröffneten Dauerausstellung ist das Selbstverständnis des DHMs als „nationales Geschichtsmuseum“ deutlich abzulesen.

Der Parcours durch zwei Jahrtausende beginnt mit der Varusschlacht…

… und endet mit einem klaren Statement: „Wir sind ein Volk!“

Hier werden nicht mehrere oder offene Geschichtsdeutungen präsentiert, sondern eine einzige, lineare Erzählung, die beansprucht, die zentralen Punkte „deutscher Geschichte“ abzubilden.

Wo genau in dieser nationalen Erzählung findet sich nun die deutsche Kolonialgeschichte? Welchen Platz hat sie in der Dauerausstellung des DHM?

Das Deutsche Reich war ab 1884 Kolonialreich. Erläuterungen zur Kolonialgeschichte erwartet man an diesem Punkt der Ausstellung allerdings vergeblich.

Stattdessen ist Reichskanzler Otto von Bismarck in diesem Ausstellungsabschnitt geradezu allgegenwärtig. Seine Rolle in der deutschen Kolonialpolitik und als Gastgeber der Berliner Afrikakonferenz bleibt jedoch unerwähnt.

Preußisch-deutsche (An)Ordnung: Die Uniform eines Berliner Schutzpolizisten vor Statuen des Großen Kurfürsten und Otto von Bismarcks. Doch wie wurde staatliche Ordnung in den Kolonien umgesetzt?

Die dreidimensionalen Bilder des „Kaiserpanaromas“ sollten die Sehnsucht der Deutschen „nach fernen Welten“ befriedigen. Dass sie gleichzeitig koloniale und rassistische Vorstellungen in ihren Köpfen verankerten, verschweigt der Begleittext.

Das „Preußische Liebesglück“ zeigt den Militärmusiker Gustav Sabac El Cher und vermutlich seine Ehefrau Gertrud Perling. Doch warum hängt das Gemälde im Ausstellungsabschnitt zum „Mythos Preußen“?

Kolonialpolitik war im Kaiserreich kein Randthema, sondern führte zu hitzigen öffentlichen und politischen Auseinandersetzungen. Im Ausstellungsteil zum Parlamentarismus im Kaiserreich sucht man allerdings vergeblich nach Hinweisen auf diese Debatten.

Im deutschen Parlament waren die geschätzten 12 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner der Kolonien nicht vertreten. Trotzdem versuchten einige von ihnen sich durch Petitionen politisches Gehör zu verschaffen.

Koloniallobbyisten wie Adolf Woermann hatten dagegen politisches Gewicht. Das Reichstagsgemälde von Ernst Henseler zeigt den Hamburger Reeder und Kaufmann rechts im Bild im parlamentarischen Zwiegespräch mit dem Reichskanzler.

Das Gemälde „Der Streik“ verweist auf die enormen Klassengegensätze im Kaiserreich. In den Kolonien wurden diese zusätzlich durch ein rassistisches System der Arbeitsteilung gestützt.

Suchbild! Wer genau hinschaut, findet auf diesem "Meilenstein" einige Informationen zur Kolonialgeschichte.

Was haben "Technik und Wissenschaft" mit Kolonialismus zu tun?

In der linken Schublade versteckt sich ein Bild des berühmten Mediziners und Nobelpreisträgers Robert Koch. Mit Unterstützung der britischen und deutschen Behörden forschte er in Indien, Ägypten, Südafrika, Deutsch-Neu-Guinea und Deutsch-Ostafrika.

Anderthalb Jahre erforschte Robert Koch in Ostafrika die Schlafkrankheit, deren Erreger in der rechten Schublade abgebildet sind. In seinem "Schlafkrankenlager" testete er eine Vielzahl von Medikamenten an Afrikanerinnen und Afrikanern.

Visuelle Verbindungslinien: Eine Medaille der „Deutschen Armee-, Marine- und Kolonialausstellung“ von 1907, dahinter ein Plakat der Firma Bayer, die Robert Koch mit Medikamenten für seine Menschenversuche versorgte.

Über diesen Teil der Ausstellung wacht ein Auge. Es wirbt für die Internationale Hygieneausstellung, die 1911 in Dresden stattfand. Unter „Hygiene“ wurde im Kaiserreich weit mehr verstanden als Regeln zur Körperpflege...

…Alle Bereiche des alltäglichen Lebens sollten wissenschaftlichen, „hygienischen“ Regeln folgen. Zu diesen Regeln gehörten auch „rassenhygienische“ Vorstellungen darüber, wer wie leben und wer wen lieben sollte – und das nicht nur in den Kolonien.

Die im 19. Jahrhundert aufblühende deutsche Überseeschifffahrt war auf vielfältige Weise mit dem Kolonialismus verbunden,…

…doch in der Ausstellung ist weder von den Profiten der Reedereien und Schifffahrtsunternehmen, noch vom Reiseverkehr zwischen Kolonien und Metropole die Rede.

Im Ausstellungsteil „Alltag und Lebenswelt“ werden die Klassengegensätze innerhalb der deutschen Gesellschaft dargestellt. Wie aber verliefen die Trennlinien zwischen europäischer und kolonisierter Bevölkerung?

In Deutschland wie auch in den Kolonien verdeutlichten materielle Güter und die damit verbundene Lebensführung den Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Klassen.

Diese gesellschaftlichen Unterschiede galt es aus Sicht weiter Teile der privilegierten und wohlhabenden Bevölkerungsschichten zu wahren - zur Sicherung der bestehenden Ordnung.

Deutsche, die sich an sich im Alltag an lokale, afrikanische oder pazifische Gepflogenheiten anpassten, stellten die koloniale Ordnung ebenso in Frage, wie Kolonisierte, die einen bürgerlichen Lebensstil pflegten.

Nicht nur über die Geschichte des deutschen Kolonialismus findet sich im Deutschen Historischen Museum wenig. Auch die Geschichten der Frauenbewegungen hat das Museum in eine räumlich entlegene Ecke verbannt.

Dabei konnten sich frauenpolitische, teilweise sogar emanzipatorische Forderungen im Kaiserreich durchaus mit rassistischen, nationalistischen und kolonialen Interessen überschneiden.

Versteckt hinter einer Glasvitrine mit Uniformen und unter der Treppe, die zum „Aufbruch in die Moderne“ führt, befindet sich eine Vitrine und ein Schubladenschrank, die dem deutschen Kolonialismus gewidmet sind.

Die Vitrine enthält ein Sammelsurium von Objekten: ein Gemälde des Kilimandjaro, die Uniform eines Kolonialsoldaten, Porträts afrikanischer Menschen, Kaffeedosen, ein Schnupftuch, ein Fotoalbum, ein Bild aus einem chinesischen Tempel...

Die Auswahl wirkt willkürlich. Auf welche Weise die Objekte in Beziehung zueinander stehen, erschließt sich kaum, geschweige denn die hinter den Objekten stehenden Geschichten.

Das einzige, was die Exponate zusammenhält, ist die Perspektive derjenigen, für deren Benutzung oder Unterhaltung sie geschaffen oder angeeignet wurden - die Perspektive der Kolonisierenden. Was hier versammelt wurde, sind koloniale Erinnerungsstücke.

Das Gemälde des Kilimandjaro von Walther von Ruckteschell zeigt eine scheinbar unbewohnte Tropenlandschaft. Von den Menschen, die der Künstler portraitierte, erfahren wir, wenn überhaupt, nur einen Namen. Afrika wird so zum geschichtslosen Naturraum.

Einer von vielen „kopflosen“ Uniformierten in der Ausstellung des DHM. Jacke und Hut des deutschen Kolonialsoldaten sind sauber und makellos. Nichts verrät das gewaltvolle, tödliche Handwerk, das ihr Besitzer ausführte.

Die Fahne eines der Infanterie-Regimenter, die 1900 nach China geschickt wurden, um den „Boxeraufstand“ niederzuschlagen. Mordend, vergewaltigend und plündernd zogen die Soldaten durchs Land und stahlen dabei auch das Tempelbild im Hintergrund.

Ein Fotoalbum mit Bildern von gefolterten und ermordeten Menschen. Dass es sich hier um Opfer eines Genozids handelt, an dem der Fotograf selbst beteiligt war, hält das Museum offensichtlich nicht für erwähnenswert.

Ein Schubladenschrank mit Proben kolonialer Rohstoffe, die von den Besucherinnen und Besuchern „erfühlt“ werden können.

Geht es darum, die Kolonien sinnlich erfassbar zu machen? Die wirtschaftlichen wie sozialen Folgen von Plantagenwirtschaft und Raubbau werden jedenfalls verschwiegen.

Die Perspektive der Kolonisierenden bleibt ungebrochen: Wir erfahren nichts über die oft unmenschlichen Bedingungen, unter denen Rohstoffe gewonnen wurden.

Der Überblickstext stellt den deutschen Kolonialismus allein in den Zusammenhang mit dem Weltmachtstreben Deutschlands unter Kaiser Wilhelm II.

Deutsche Kolonialgeschichte wird zu einer Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges reduziert.

Der Erste Weltkrieg. In der Ecke des Raumes hängt eine Gemälde…

… auf dem französische Kriegsgefangene abgebildet sind – darunter vereinzelte Kolonialsoldaten.

Zwei Porträts algerischer Kriegsgefangener. Ausführlichere Erläuterungen zu ihren Geschichten sucht man jedoch vergebens.

Ein Rundgang mit dem Audioguide lohnt sich!